Street Football

"Freundschaft, Frieden, Fußball"

FIFA-Präsident Joseph Blatter weiß es eben nicht besser zu sagen: Doch bei der Straßenfußball-WM in Kreuzberg geht es nicht um Schlagworte

Von Jens Butterwegge

"Hier haben alle die Chance zu zeigen, was sie drauf haben", sagt Bundesligaprofi Malik Fathi von Hertha BSC Berlin. Er unterstützt das Berliner Team "fx united", das seit dem 2. Juli am Kreuzberger Mariannenplatz mit 21 weiteren Straßenfußballteams um die "Copa Andrés Escobar" spielt – die Weltmeisterschaft im Straßenfußball.

Nach einem Eigentor bei der WM 1994 wurde der kolumbianische Nationalspieler Escobar in seiner Heimatstadt Medellin erschossen. Der Initiator dieser Straßenfußball-WM Jürgen Griesbeck war zum Zeitpunkt der Tat Gastdozent an der Universität in Medellin. Er gründete nach dem Attentat das Projekt "Fútbol por la Paz". Das wichtigste Motto vor dem Betreten des Spielfelds in der kolumbianischen Drogenmetropole lautete damals: "Keine Waffen, keine Drogen."

Zunächst sieht alles nach einer Weltmeisterschaft von Verlierern aus: Pedro aus der bolivianischen Mannschaft hat kurz vor dem Turnier drei Finger verloren. Viele der anderen Straßenfußballer, die in verschiedenen Projekten gegen Drogen, Gewalt und AIDS kämpfen, eine unbeschwerte Kindheit. Den Mannschaften aus Ghana und Nigeria wurde von den deutschen Botschaften das Einreisevisum verweigert. Die Eröffnungsrede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier wird deswegen von Pfiffen begleitet.

Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit verleitet die Herkunft der Teilnehmer dazu, von "Spielern und Spielerinnen, die nicht mit dem goldenen Löffel geboren worden sind" zu reden. Auf der Suche nach Sympathien kommt auch der FIFA-Präsident Joseph S. Blatter nach Kreuzberg und wirft dem Publikum in deutscher und englischer Sprache Worte wie "Freundschaft", "Frieden" und "Fußball" zu. Stürmischen Applaus spendet das Publikum jedoch nur Yomi Kuku, dem einzigen Nigerianer im Turnier. Der Fußballkommentator trägt einen grün-weißen Fanschal um den Hals und bringt sein Ziel auf den Punkt: "Peace! Peace! Peace!"

Zuvor hatte schon ein junger Typ mit grünem Basecap den FIFA-Boss ganz unpathetisch verabschiedet: "Jetzt spricht die Straße und nicht mehr die FIFA". Der Eindruck bemitleidenswerter Straßenfußballer verflüchtigt sich jetzt schnell: Plötzlich ist zu sehen, dass Pedro auch ohne seine drei Finger lächelt und dass die Straßenfußballer auf der Tribüne äußerst ausgelassen tanzen. Platzkarten in der Arena, die aus einem provisorischen Stahlgerüst besteht, gibt es nicht. Ein Achtjähriger im Deutschlandtrikot klemmt seinen kleinen Körper einfach zwischen zwei Stahlstreben und fühlt sich dort offensichtlich pudelwohl.

Initiator Griesbeck sagt gerade noch: "Es wird immer aufgelegt neben dem Feld" - da ertönt schon Hip Hop aus den Boxen. Leiki mit den blonden Rastalocken wälzt sich auf dem Kunstrasen und schafft es dabei irgendwie, den Ball mit fast sämtlichen Körperteilen in der Luft zu balancieren. Seine Kollegen aus dem Team "Streetfootball Norway" probieren sich am Spielfeldrand ebenfalls in Ballakrobatik. Charlotte lässt den Ball geschmeidig über ihren Rücken von der linken zur rechten Schulter rollen, um ihn mit dem Fuß aufzufangen. Solche Kunststücke sieht man im internationalen Fußball sonst nur bei Ronaldinho.

Vor den Spielen legen die Teams die Regeln fest. Tore, die von Mädchen geschossen werden, zählen meistens doppelt. Aggression ist verboten. Fouls werden meist sofort von ihren Urhebern angezeigt. Die Nummer Sechs vom Team aus Costa Rica will es zunächst nicht glauben, dass er seinen Gegenspieler aus Paraguay gefoult haben soll. Wütend winkt er zunächst ab. Seine Mitspieler nehmen ihn jedoch schnell in ihre Mitte und weisen ihn zurecht. Danach wird er ausgewechselt.

Der einzige, der hier laut werden darf, ist Luis Ramirez. Der Sportkommentator aus Paraguay kommentierte in seiner Heimat zehn Jahre lang Großereignisse wie die Olympischen Spiele oder die südamerikanische Champions-League. Jetzt ist er mit seiner unnachahmlichen Leidenschaft bei den Spielen in Kreuzberg dabei. Wie Maschinengewehrsalven schleudert er seine Worte ins Mikrofon und lässt keine Aktion auf dem Kunstrasen unkommentiert. Für den Durchschnittskreuzberger dürften seine Worte dabei völlig unverständlich bleiben.

Das Spiel fünf gegen fünf erfordert auf dem kleinen Platz höchste Aufmerksamkeit und vor allem Reaktionsschnelligkeit. Schnelle kurze Pässe und Wendigkeit führen hier zum Sieg. Im Tor ist dagegen oft Körpermasse das Erfolgsrezept: Besonders der Torwart der Brasilianer weist einen erstaunlichen Körperumfang auf, der sich als äußerst wirksam herausstellt.

Mit Weitschüssen hat vor allem das Team "Football Friends Balkan" Erfolg, das nach dem zweiten Spieltag in seiner Gruppe mit Abstand führt. Spieler aus Mazedonien, Bosnien & Herzegowina und Serbien sind dort aktiv. Staatsgrenzen, die durch die Politik abgesteckt werden, bleiben unberücksichtigt. Ebenso beim Team aus Israel und Palästina.

Für Liliane vom ruandischen Team "Espérance: Football pour la Paix" bringt der Straßenfußball vor allem eins: Unabhängigkeit von Männern. Die Tatsache, dass sie auf dem Platz gegen sie spiele, gebe ihr ein Gefühl von Selbständigkeit. Sie wolle mit ihrem Team aber auch die Folgen des Völkermordes in ihrem Land verarbeiten und für den Frieden kämpfen. Fußball und Ausgleich prägen auch Lilianes Berufsziel: Sie will Profischiedsrichterin werden.

Den Völkergruppen Hutu und Tutsi, unter denen es vor etwa zehn Jahren noch zu grausamen Massakern gekommen war, will sich im Team des afrikanischen Landes kein Spieler mehr zuordnen. Sie spielen jetzt nur noch für ihre gemeinsame Heimat und die ist, unabhängig von allem was einmal war, Ruanda.

Am Samstag Abend wird in der Stahlgerüstarena am Kreuzberger Mariannenplatz das Finale ausgespielt.

28 / 2006
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