Sieben Tage

Halbfundiertes Europa-Wissen

Wie hoch ist die Geburtenrate von Argentinien? Foltern die USA? Was macht eigentlich der Europarat? Was kann eine EU-Ratspräsidentschaft bewirken? Und sollte ein Deutscher auch beim Fußball europäisch denken? Wer die Antworten auf diese Fragen kennt, kann mitreden

Eine Wochenvorschau von Christoph Herwartz

Die Woche beginnt mit dem internationalen Tag zur Unterstützung der Opfer von Folter. Einer von vielen Gedenktagen, der die Welt nicht ändern wird. Der aber immerhin einen Anlass bietet, nochmal darauf hinzuweisen, dass wir in einer grausamen Welt leben. Und so tingeln die Menschenrechtler wieder durch die Radiostationen und geben Interviews. Wir werden an einiges erinnert, an das wir länger nicht gedacht haben und erfahren vielleicht sogar etwas Neues: Zum Beispiel, dass die USA nicht foltern, sondern „mit körperlichem Zwang befragen“. Wie konnten wir je an deren moralischer Integrität zweifeln?

Mit dem Thema „Menschenrechte“ befasst sich auch der Europarat. Der hat nichts mir der Europäischen Union zu tun, sondern ist eine Versammlung von 46 Staaten, und verfasst seit 1949 Resolutionen. Der Europarat hat Sitzungswoche und das kommt nur zweimal im Jahr vor. Eines der Themen ist die Freiheit der Meinungsäußerung und dazu will sich am Mittwoch der Türkische Präsident Tayyip Erdoğan äußern. Was für ein Timing. Denn in der Türkei wird gerade ein Gesetz verabschiedet, das für Journalisten unangenehm werden könnte: Wer über Terrorismus berichtet, steht mit einem Bein im Gefängnis, fürchten die Verbände. Ob das zu Konflikten im hohen Haus zu Straßburg führt, kann man am Mittwoch ab 15 Uhr hier live verfolgen .

Am Freitag spielt Deutschland gegen Argentinien. Hier ein Ländervergleich mit einigen Eckdaten, die man für das Fachgespräch braucht:

  Argentinien Deutschland
Fläche 2.766.890 qkm 357.021 qkm
Tiefster Punkt -105 Meter -3,5 Meter
Höchster Punkt 6.960 Meter 2.963 Meter
Einwohner 39.921.833 82.422.299
Durchschnittsalter 29,7 Jahre 42,6 Jahre
Geburtenrate 2,16 1,39
WM-Titel 2 (’78, ’86) 3 (’54, ’74, ’90)
Erfolgreichster Torschütze im Kader Hernan Crespo (32 Tore in 58 Spielen) Michael Ballack (31 Tore in 68 Spielen)

Und da auch ihr, liebe Hockeyspieler, Turner und Sportasketen garantiert nach eurer Meinung zum Spiel gefragt werdet, hier die wichtigsten Bausteine zu einer semifundierten Antwort:

- Die Deutsche Mannschaft hat bisher alle Spiele gewonnen, Argentinien konnte gegen Holland (die mittlerweile gegen Portugal rausgeflogen sind) nur null zu null spielen.
- Kern des deutschen Erfolges ist das gute Zusammenspiel von Mittelfeld (Ballack) und Sturm (Klose). Klose spielt so gut wie nie und macht nach seinen Toren schön anzusehende Salti. Podolski hat sein Spiel ohne Ball verbessert und wenn Klose nicht trifft, kommt Podolski, denkt nicht lange und versenkt die Kugel.
- Das Deutsche Problem ist nach wie vor die Abwehr. Das fiel zuletzt nicht auf, weil die Gegner kaum über die Mittellinie hinauskamen. So machen wir das auch jetzt wieder.
- Argentinien hielt zuletzt die Fahne der Südamerikaner hoch und galt bis zum Spiel gegen Mexiko als Favorit, tat sich dann aber schwer und zogen nur mit Mühe ins Viertelfinale ein (zwei zu eins nach Verlängerung).

Während wir dann also auf den Plätzen dieses Landes den Einzug in das Halbfinale feiern und uns fragen, was mit den Videoleinwänden eigentlich nach der WM gemacht wird, übernehmen die Finnen die Ratspräsidentschaft der EU. Das heißt, immer wenn sich die Minister oder Präsidenten aus der Union treffen, hat ein Finne den Vorsitz. Die Finnen haben sich vorgenommen, in kleinen Schritten die begonnenen Wege weiterzugehen und „hinter den Kulissen Kompromisse in der Verfassungsfrage auszuloten“. Das klingt langweilig, muss aber auch mal sein. Hoffentlich ist die Agenda spannender, wenn in einem halben Jahr die Deutschen drankommen.

Schließen wir mit einem Zitat aus einem alten Joint-Venture-Song: „Ein guter Deutscher denkt europäisch außer wenn er Kicken guckt.“

20 / 2006
ZEIT ONLINE