Festival

Baden mit den Pet Shop Boys

Letztes Jahr hat es Maximo Park von der Bühne geweht. Trotzdem wurde das MELT! dann noch eine super Sache. Booker Stefan Lehmkuhl spricht im Zuender über das Wetter, die Pet Shop Boys und die Rolle der "Intro". Und ein paar Geheimtipps hat er auch

Fragen von André Hennig

Wer wird diesmal vom Sturm fortgeblasen?

Es wird niemand vom Sturm weggeblasen, das Wetter wird super, guck mal raus, es ist jetzt fast Anfang Juni und wir hatten noch kaum Sonnenschein.

Du meinst, das ganze gute Wetter wird bis dahin aufgespart?

Ja, das ist bestellt und das kommt auch, gar keine Frage.

Widmen wir uns ernsthaften Fragen. Das MELT! bezeichnet sich selbst als „außergewöhnlich und avantgardistisch“. Was genau ist das Wegweisende am MELT!?

Der große Unterschied bei uns ist, dass wir das einzige Festival in Deutschland sind, das musikalische Stile konsequent miteinander kreuzt. Also gleichberechtigt ein Zwitterfestival ist zwischen Gitarrenmusik und elektronischer Musik. Wir würden jetzt nicht – ich erinnere mich da an ein Festival, das das mal gemacht hat – Motörhead buchen und gleichzeitig Westbam auf die andere Bühne stellen, sondern wir gucken, dass es bei den Gitarrenacts ‘ne Schnittmenge mit der Elektronik gibt oder ‘ne gewisse Tanzbarkeit. Und dass umgekehrt bei den elektronischen Acts eine Affinität zur Gitarre da ist, zumindest bei möglichst vielen. Wenn einer nur auf Gitarrenmusik steht, der wird voll befriedigt, kann sich elektronische Musik angucken, muss es aber nicht, umgekehrt genauso.

Was die Avantgarde angeht: Wir legen viel Wert auf visuelle Gestaltung. Und wir buchen nicht nur auf Nummer sicher, nicht nur die großen Headliner, sondern auch Sachen, die künstlerisch etwas anspruchsvoller sind oder noch recht unbekannt.

In den ersten Jahren war das MELT! ein reines Techno- und Elektrofestival. Seit 2001 kamen dann mehr und mehr Live-Acts zum Einsatz. Wie ist das entstanden?

Seit 2000/2001 hielt Gitarrenmusik in den Club-Bereich Einzug. Jede Gitarrenband ließ sich noch mal remixen in einer Club-Version. Und dann haben ja auch Bands mehr und mehr angefangen, elektronische Sachen in ihre Musik einzubeziehen.

Im Ausland haben viele Festivals darauf reagiert und man fragte sich, warum es das in Deutschland nicht gibt. Wir sind alle so sozialisiert, dass wir uns für Musik im Allgemeinen interessieren und gar nicht so sehr nur Clubgänger sind, sondern auch viel auf Konzerte gehen. Das Benicassim-Festival in Spanien ist natürlich ein Einfluss fürs MELT!, da hat das nebeneinander gut funktioniert.

Eure Bandbreite reicht mittlerweile von Techno/Elektro über Rock/Pop bis zu HipHop. Birgt das nicht die Gefahr, an Profil zu verlieren?

Ich glaube das Gegenteil. Ich glaube, dass wir es in diesem Jahr besser als jemals geschafft haben, dass genau aus dieser Mischung ein Profil entsteht. Es ist ja nicht beliebig, es hat immer einen Qualitätsanspruch und wir sind dabei ohne Scheuklappen. Wir haben relativ konkrete Vorstellungen davon, was aufs MELT! passt und was nicht. In Deutschland ist das immer noch ein bisschen ungewöhnlich. Es liest sich auch erstmal komisch, wenn man Tomte und Miss Kittin zusammen im Line-Up sieht. Wenn man sich die Bühnenaufteilung aber mal genauer anschaut, bemerkt man dahinter ein Gesamtkonzept.

Wie kommt das Line-Up zustande? Hat man da so einen persönlichen Wunschzettel als Booker, den man abzuarbeiten versucht und füllt dann die Acts, die man nicht kriegt, auf?

Das Intro-Magazin ist ja Mitveranstalter, das heißt wir haben da einen relativ großen Pool an Musikbegeisterten und Musikkennern, mit denen wir uns in der Runde absprechen können. Ich mach das ja nicht alleine. Da gibt’s dann ‘ne Rundmail: „So, jetzt schickt mir mal eure Wünsche!“ Dann hat man erst mal einen großen Pool mit hundert Namen oder so. Dann streiche ich schon mal das, was zu finanziell oder organisatorisch unrealistisch ist. Da erledigt sich schon vieles.

Dann gucken wir natürlich, welche Alben in diesem Jahr rauskommen. Mit der Intro-Musikredaktion schauen wir, welche Bands sich gerade gut entwickeln und welch besonders gut zum MELT! passen. Wir versuchen, so früh wie möglich Bands zu buchen, die dann aktuell sind. Das Festival hat sich mittlerweile auch ganz gut etabliert. Viele Bands wollen da spielen und melden sich. Wenn da was Passendes bei ist, dann nimmt man das auch. Von der Wunschliste bleibt am Ende nicht viel mehr als ein Drittel übrig.

Auf wessen Wunschzettel standen denn die Pet Shop Boys, die ja dieses Jahr quasi Headliner sind? Die Jungs passen ja kaum ins Indie-Schema...

Sie standen immer schon mal auf unseren Listen mit drauf, aber wir hätten die im Traum nicht von uns aus angefragt, weil wir ohnehin gedacht hätten, die machen das nicht. Jetzt kam gerade eine neue Platte von denen und sie kamen auf uns zu, weil sie ein Festival wie uns gesucht haben. Es war klar, sie wollen nur eins pro Jahr spielen und es sollte nicht so ein Riesen-Event wie Rock am Ring sein. Wir fanden das sehr passend. Klar, bei uns ist nicht jeder ein absoluter Fan, aber eins muss man ihnen lassen: Sie sind Legenden in ihrem Bereich und Mitbegründer des Genres „Elektropop“. Die Pet Shop Boys hatten unheimlich viel Einfluss auf elektronische Künstler und auf Bands. Ohne die gäbe es viele der Bands, die jetzt beim MELT! spielen, gar nicht. Wir freuen uns sehr, dass die Jungs uns beehren in diesem Jahr!

Im vergangenen Jahr sind mir besonders 13 & God aufgefallen. Hast du für dieses Jahr einen Geheimtipp?

Für mich persönlich sind das in der Techno-Abteilung Digitalism aus Hamburg. Die sind in Deutschland im Moment noch nicht so wahnsinnig „ around “ aber weltweit schon extrem gut gebucht. Davon mal abgesehen finde ich die unglaublich gut und sie passen sehr gut zum MELT!, weil sie so eine Art Electro-Pogo machen und die meistgefragten Remixer für sehr viele Indie-Gitarrenbands sind, für Test Icicles zum Beispiel, aber auch für Daft Punk. Das sollte man sich auf jeden Fall angucken. In Sachen Gitarrenbands sind meine Favoriten We Are Scientists oder die Hush Puppies aus Frankreich, die sind so ein bisschen Arctic-Monkeys-mäßig.

Das MELT! und die Intro sind ja ziemlich verbandelt. Kannst du kurz umreißen wie das genau aussieht?

Wir, die Intro , sind jetzt im dritten Jahr beim MELT! als Veranstalter dabei. Davor waren wir schon Medienpartner. Der damalige Veranstalter war auf uns zugekommen. Wir sind ja auch kein reines Alternativ-Magazin, deswegen passte das von vornherein. Wir unterstützten das, so stark wir konnten, auch wenn es ein kleineres Festival war.

Dann hatte das MELT! bis dahin ja nie so richtig den Durchbruch erlebt. Es war etabliert und hatte einen guten Ruf, war aber nie ausverkauft und warf nie besonders viel Geld ab – und hatte oft Pech mit dem Wetter. Was dann darin gipfelte, dass sich die damaligen Veranstalter 2003 gezwungen sahen, das Festival abzusagen. Wir von Intro hatten schon oft die Überlegung, dass wir ein eigenes Open-Air-Festival veranstalten. Als wir dann gehört haben, dass das MELT! abgesagt wird, fanden wir das schade für die deutsche Festivallandschaft. Daraufhin haben wir es in Kooperation 2004 wiederbelebt.

Bedeutet das, dass die Intro auch wirtschaftlich an der Sache beteiligt ist?

Ja, inzwischen ist Intro der Veranstalter des Festivals. MELT! ist ‘ne eigene Firma, gehört aber zum Intro -Verlag.

Dient das Festival auch zur Refinanzierung der kostenlosen Zeitschrift?

Nein, das MELT! ist eine eigene Marke, das ist keine Refinanzierung fürs Magazin.

Das Festival ist in den letzten Jahren stetig gewachsen, im vergangenen Jahr kamen erstmals mehr als 10.000-Besucher, die Line-Ups werden immer opulenter. Ist dieses Wachstum begrenzt oder bekommen wir in ein paar Jahren das Southside des Ostens?

Nee, da wollen wir ganz sicher nicht hin. Wir wachsen, weil wir momentan noch wachsen wollen und müssen: Erstens haben wir eine Location, bei der es wenig Sinn macht, wenn nur 5.000 Leute kommen, dafür ist sie zu groß und es wäre ungemütlich. Theoretisch haben wir Platz für 25.000 Leute, aber das ist eine Größenordnung, in die wir nicht wollen. Wir wollen, dass das Festival sich gut trägt, dass es weder zu leer noch zu voll ist und dass es musikalisch keine großen Kompromisse machen muss. Wir wollen nicht in jedem Jahr einen größeren Headliner buchen müssen, den wir am Ende nicht mal mehr mögen, nur damit wir mehr Tickets verkaufen. Wir wollen mit einem Line-Up in der Größenordnung wie wir es jetzt haben, ca. 15.000 Leute, gewinnen. Da könnten wir sagen „ausverkauft“.

Einen See habt ihr auch, nur war bisher das Baden offiziell verboten – was natürlich trotzdem jeder getan hat. Wird das in diesem Jahr anders sein?

Der See ist jetzt offiziell als Badesee freigegeben. Jetzt kann man im Campingbereich – auf eigene Gefahr – ganz legal baden. Aber schön vorsichtig sein und nicht betrunken ins Wasser gehen!

04 / 2006
ZEIT ONLINE