Streik

"Ich würde mehr arbeiten"

Der Verdi-Streik in Hamburg ist vorbei, aber es wird noch dauern, bis die Straßen wieder sauber sind. Kurz bevor sich die Stadt mit ihren Arbeitern einigte, sprach der "Zuender" mit einem der Entsorger

Fragen von Till Hilmar

Hamburgs Müll liegt seit Wochen auf den Straßen. Stehen die Müllentsorger nach wie vor geschlossen hinter ihrer Sache?

Schon bei der Urabstimmung haben sich über 95 Prozent für den Streik ausgesprochen. Und dank Verdi haben wir das Geld für die Aktion. Problematisch ist es für die Kollegen, die nicht in der Gewerkschaft organisiert sind, denn die haben keinen Anspruch auf dieses Geld. Es gab ja einen Mitgliederschwund in den letzten Jahren, jetzt ist der Trend wieder in die andere Richtung. Aber die Stimmung ist konstant gut, wir wackeln nicht. Wir glauben auch nach wie vor an der Erfolg des Streiks.

Die Gewerkschaften befürchten, dass durch die Verlängerung der Wochenarbeitszeit um insgesamt 1,5 Stunden bis zu 250.000 Stellen gestrichen werden könnten. Werden Sie mehr Arbeit, weniger Lohn haben oder ist sogar Ihre Stelle in Gefahr?

Meine Stelle ist nicht bedroht. Dafür bin ich zu lange im öffentlichen Dienst zu lang, ich bin unkündbar. Wenn der Forderung des Arbeitgebers stattgegeben werden würde, müsste ich 18 Minuten länger arbeiten ohne Lohnausgleich. Aber das geht uns sehr nahe. In den 1990iger Jahren wurde die 40 Stunden Woche auf 38,5 Stunden verkürzt. Damals haben wir die proportionale Lohnkürzung selbst bezahlt, heute sollen wir ohne Lohnausgleich wieder länger arbeiten!

In vielen Kommunen ist die Müllentsorgung schon privatisiert. Würden Sie auch für ein privates Unternehmen weiterarbeiten?

Ja, selbstverständlich.

Aber ist es egal, wer Sie bezahlt?

Nein. Diese Arbeit muss vom Staat erledigt werden. Aber nicht nur, damit die Arbeitsbedingungen fair bleiben, sondern der öffentlichen Daseinsfürsorge wegen. Geräumte Wege, gestreute Straßen und die Müllabholung sind Aufgaben der Öffentlichkeit. Öffentliche Regie garantiert auch Leistung und besonders Leistungskontrolle und höhere Qualitätsstandards.

Wie begegnen Sie dem Argument, dass der öffentliche Dienst ohnehin privilegiert ist?

Er ist nur in einer Hinsicht privilegiert. Und zwar anhand der "hoheitlichen Aufträge" die er vom Staat bekommt. Wir sind die einzigen, die das Recht haben, diese Arbeit zu machen. Wir arbeiten nicht defizitär, wir dürfen nur keinen Überschuss erwirtschaften, sondern nur kostendeckend arbeiten. Mit der Müllentsorgung kann man viel Geld verdienen, allein mit dem Mülltransport! Viele Private sind daran interessiert. Aber nur wir haben eine Infrastruktur mit hohen Standards. Private Unternehmen fahren ihren Müll quer durch Europa, um Geld zu sparen.

Es geht aber nicht darum, dass die Arbeit so außergewöhnlich oder minderwertig ist, dass sie andere nicht machen wollen. Als ich als Entsorger anfing, wurden viele Leute aus dem Ausland geholt weil kein Deutscher es nötig hatte diese Arbeit zu leisten. Aber die Arbeit liegt mir, ich möchte gerne für alle arbeiten. Ich arbeite im Auftrag des Staates, aber faktisch für alle. Das ist mir wichtig.

Nun schlägt man bei den Verhandlungen einen Kompromiss vor, dass Jüngere länger arbeiten sollen als Ältere. Können Jüngere die Arbeit besser machen?

Absolut nicht. Meiner Meinung nach ist das ein Skandal, ich sage sogar das Gegenteil. Jüngere brauchen sogar mehr Freizeit. Ich dagegen kann mehr arbeiten. Und ich hab mehr drauf als die. Das Leistungsvermögen steigert sich natürlich mit dem Alter. Die Älteren sind viel besser.

Wie ist die Reaktion der Hamburger?

Ich erwarte mir Solidarität und die bekomme ich auch.

Wie verläuft der Alltag eines streikenden Entsorgers?

Die Betriebe sind gesperrt. Man trifft sich täglich vor oder im Betrieb, man steht in Schichten Streikposten. Viele Leute von der Presse kommen. Die Bild argumentiert, die Müllmänner verdienen gut und wagen es zu streiken, nur wegen 18 Minuten! Das ist viel zu kurz gedacht. Es geht um Arbeitsplätze.

Wofür wären Sie bereit länger zu arbeiten?

Ich wäre sogar bereit, sechzig Minuten länger am Tag zu arbeiten, wenn meine Mitbürger, die mit Gebühren meine Leistungen finanzieren, in den nächsten Jahren keine Erhöhungen dieser Gebühren erleiden müssen. Leider denken immer weniger so wie ich.

Es wurde schon Müll weggeräumt. Wer macht das?

Das machen private und auch öffentlich Bedienstete. Das sind aber keine Kollegen von mir. Die arbeiten für einen Euro die Stunde, gemäß der Hartz-Regelung. Die werden nur für diese Arbeit eingesetzt, das ist nicht ihr erlernter oder ausgeübter Beruf. Die sind allesamt abhängig von Transferleistungen und Arbeitslosengeldern. Das ärgert uns. Wir haben uns ja vorgestellt dass der Müll im Weg ist und stinkt. Es freut mich aber, dass das auch deutlich wird!

Wenn der Streik vorbei ist: wird es möglich sein, das Chaos an einem Tag zu beseitigen?

Nein, das werden wir nicht schaffen! Wir werden zwar alle im Einsatz sein, auch mit Sonderschichten. Ich schätze, trotzdem brauchen wir eine Woche, vielleicht zwei.

Was machen sie mit ihrem eigenen Müll?

Das gleiche wie sonst. Nur doppelt verpacken. Es könnte ja noch dauern. Aber der Müll wird fein und ordentlich gestapelt und nicht einfach auf die Straße geschmissen.

Der interviewte Entsorger möchte nicht mit Namen genannt werden.

04 / 2006
ZEIT ONLINE