Interview

"Ich wollte wieder Lampenfieber haben und nervös werden"

Dank "Atmosphere" wurde Ende der 90er auch Minneapolis zu einer Adresse im HipHop. Ihr Label "Rhymesayers" hat gemeinsam mit "Def Jux" und "Anticon" einen neuen Independent-Hype ausgelöst. Wir trafen MC Slug alias Sean Daley. Im Gespräch spricht er von Blumendiebstahl, HipHop im Alter und das Neue an seinem aktuellen Album.

Fragen von Jan Simon und Sebastian Zeiger

Euer neues Album „You can´t imagine how much fun we’re having“ wird allgemein gefeiert. Siehst Du selbst einen großen Unterschied zum Vorgänger?

Ich weiß nicht, ob die Leute es bemerkt haben, aber wir haben auf diesem Album nur 13 Songs zusammen gebracht. Früher wollten wir immer die gesamten 80 Minuten voll machen, selbst wenn einzelne Songs nicht zwingend waren. Wir waren uns dessen auch bewusst, dachten aber, dass man den Leuten eben alle Kinder zeigen sollte – auch die hässlichen, dummen, die man sonst im Keller versteckt. Wir wollten sie auf dem Familienfoto.

Das neue Aceyalone -Album zum Beispiel ist auch kompakter. Ein Trend?

In den späten 80ern war es immer so. Die Einzigen, die immer zu viel auf der Platte hatten, waren De La Soul und Public Enemy . Die meisten Anderen hatten zehn Songs, die in der Regel auch prima auf eine Seite eines Tapes gepasst haben. Zwei Tracks waren dann meistens noch DJ-Songs. Rakim rappte auf acht Tracks! Ich denke, es ist gut, dass die Leute wieder dazu zurückkehren. Das, was wir erlebt haben, hing auch mit der digitalen Explosion zusammen. Besonders Leute im Independent-Bereich dachten oft „Ich habe nur tausend Kopien von dieser CD, die ich für zehn Dollar verkaufe. Also gebe ich den Leuten wenigsten so viel Stuff wie möglich“. So dachten wir auch.

Viele Kritiker schreiben zurzeit, dass Ihr mit dem neuen Album zu Euren Wurzeln zurück kehrt, während „Seven´s Travels“ [2003] als nicht so „edgy“ empfunden wurde. War das Euer Plan?

Ich weiß nicht, ob wir jemals smart genug waren, um wirklich einer Agenda zu folgen. Anthony und ich sind einfach zwei Nerds, die gerne Musik machen. Es kann schon sein, dass dieses Album meine unbewusste Reaktion auf „Seven´s Travels“ ist, das ich etwas als meine De La Soul -Platte betrachte. Ich wollte damals singen, dämliche Skits und eine Platte machen, die mich an das Gefühl des Tourens erinnert. Auf Tour bin ich mit einem Haufen Verrückter unterwegs, denen es immer noch Spaß macht, die Blumendeko einer Bar in ihrem Mantel verschwinden zu lassen, nur um vor der Tür festzustellen, dass sie gar nichts damit anfangen können.

Wie schätzt Du diese Euphorie rückblickend ein, die Euch für Eure ersten Platten entgegen schlug?

Es gab eine Gruppe von Leuten, die Underground-HipHop entdeckten, selbst aber eigentlich nicht aus dem Rap, sondern dem Indie-Rock und von Intellektuellen-Websites kamen. Als sie Aesop Rock , El-P , uns und Anticon entdeckten, erinnerte sie das an eine bestimmte Ära von Indie-Rock, der heute nicht mehr existiert. Sie dachten, wir seien die neue spannende Sache, die alles am Leben hält und Rap neu erfindet. Sie verstanden nicht, dass wir nur ein Haufen Typen waren, die bloß rappten und in ihrer Jugend alle Kool G Rap gehört haben. Deshalb war es für uns interessant, die Reaktionen dieser Typen zu sehen, die erwarteten, dass wir den Weg fortsetzen, den wir ihrer Meinung nach eingeschlagen hatten. Daher war ich auch überhaupt nicht enttäuscht, als sich die Kritiken auf „Seven´s Travels“ anders anhörten. Das machte Sinn.

Du trittst anlässlich der neuen Platte erstmals mit Band auf. Wie kam es dazu?

Ich musste etwas anderes machen, weil wir uns nicht mehr weiterentwickelten. Dibbs [Slugs DJ, Red.] und ich waren irgendwann in der Lage, hundert Bier auf der Bühne zu trinken und unser Ding ohne jegliche Angst und Nervosität durchzuziehen. Das sagte mir, dass es für uns etwas zu angenehm geworden war. Ich wollte wieder Lampenfieber haben und vor Leuten nervös werden. Genau das liefert mir die Band.

Du bist für HipHop-Verhältnisse schon recht lange dabei. In Deutschland gilt HipHop überwiegend als reine Jugendkultur. Denkst du gelegentlich darüber nach, wie lange Du das noch machen willst?

Ich denke dauernd darüber nach. Ich könnte mittlerweile auch viele anderes tun. Ich könnte als Tourmanager arbeiten und schon jetzt arbeite ich faktisch als A#R und bin einer der Hauptentscheidungsträger beim Label. Aber dennoch bin ich zurzeit am stärksten auf meine eigene Kunst konzentriert. Rap macht es mir möglich, viele Ressourcen zusammen zu ziehen. Trotzdem werde ich nicht ewig auf der Bühne stehen. Ich bin jetzt 33 und die Fans sind überwiegend 17. Mein Sohn ist 11. Wenn er 17 wird, bin ich 39 - was soll ich dann noch zu einem Haufen 17-Jähriger sagen?

In Deutschland sind Deine Fans ja tatsächlich etwas älter, was ein seltenes Phänomen ist. Wünschst Du Dir das für die USA auch?

Wenn ich eines Tages in einem Raum vor 500 38-Jährigen Frauen spielen soll – fuck it, I´ll do it! Die werden wesentlich besser verstehen, worüber ich rede, als ein 16-Jähriger Junge mit seinem Kapuzenpullover. Andererseits weiß ich aber nicht, ob ich wirklich Rapmusik für ältere Leute machen will. Ich kann mich noch daran erinnern, wie es war, als ich 16 war. Ich wollte nicht, dass mein Dad dieselben Sachen hört.

Gibt es in Deinem Freundeskreis auch das Phänomen, dass Leute sich zu alt für HipHop fühlen?

Die meisten Leute, mit denen ich im Alter von 17, 18 Mixtapes gemacht habe, hören heute überhaupt keinen HipHop mehr, außer vielleicht ein paar Mainstream-Sachen. Wenn wir uns an der Tankstelle oder im Lebensmittelladen treffen, wissen die oft gar nicht, dass ich rappe und das, obwohl ich in meiner Stadt zu den etwas bekannteren Gestalten gehöre. Die Leute haben Familie und befinden sich in irgendwelchen Karrieren, die sie von der Kultur weggeführt haben. Der einzige Grund, weshalb ich noch dabei bin, ist wahrscheinlich, dass ich schon immer ein scheiß Rap-Dawg war. Ich bin die Rap-Version dessen, was ein Trekkie für Star Trek ist. Die, die keine Trekkies waren, haben was anderes gefunden.

Würdest Du Deinen Sohn unterstützen, wenn er auch anfangen wollte, Musik zu machen?

Ich hätte gerne, dass er es nicht aus den falschen Gründen macht. Viele von uns haben in der Tat falsche Auffassungen darüber, weshalb man in einer Band sein sollte. Sie wollen eine Gitarre in die Hand nehmen, um möglichst viele Pussys zu bekommen und in der Stadt bekannt zu werden. Wenn du Kunst aber der Kunst wegen machst, stellst du dich automatisch stark in Frage. Das kann oft sehr schmerzhaft sein, was Dritten vielleicht nicht einfach vermittelbar ist. Darauf würde ich ihn vorbereiten wollen.

Die neue Felt-Platte [ein Nebenprojekt, von Slug und Murs von den Living Ledgends - Red.] sollte ursprünglich Nicole Ritchie gewidmet werden. Nun habt Ihr sie für Lisa Bonet gemacht – weshalb?

Ja, das Album sollte zuerst tatsächlich für Nicole Ritchie sein, weil wir mit ihr ficken wollten. Aber wegen dieser TV-Show [„Simple Life“ mit Paris Hilton - Red.] wurde sie plötzlich berühmt. Danach war sie also nicht mehr nur dämlich, sondern auch famous. Wenn sie bloß dumm gewesen wäre, hätten wir die Platte weiterhin für sie gemacht. Also haben wir uns umentschieden und die Platte für Lisa Bonet gemacht, weil ihr Ruhm etwas nachgelassen hat. Die Sache scheint ja zu funktionieren: Nachdem wir die erste Platte für Christina Ricci gemacht hatten, bekam sie wieder gute Rollen - plötzlich war sie bei Ally Mc Beal.

Es wäre wirklich schön, wenn Lisa Bonet dieses Jahr zurückkommt.

Absolut – und wenn es dieses Mal wieder funktioniert, werden Murs und ich ein neues Business starten: Wir werden untergehenden Stars anbieten, für 10.000 Dollar eine Platte über sie zu machen.

Hast du „High Fidelity“ gesehen?

Slug: Ja – und Lisa Bonet war gut in dem Film, aber anscheinend war es nicht genug, um ihre Karriere wieder voran zu treiben. Ich habe das nicht verstanden, denn sie war nicht nur gut, sondern auch wunderschön – wie immer eben. Ich nehme an, dass es daran lag, dass „High Fidelity“ in den Staaten vor allem von Szene-Leuten und Snobs gesehen wurde. Und diese Typen haben immer noch nicht verstanden, dass es okay wäre, sich einzugestehen, schwarze Frauen ficken zu wollen. Sonst wäre Lisa Bonet scheiß berühmt.

Du bist ja öfter auf Tour als zu hause…

So wie Du das sagst, hört sich das irgendwie deprimierend an…

Sorry! Ich wollte eigentlich darauf hinaus, dass Du deshalb viel zu sehen bekommst.

Das ist das große Missverständnis. Frauen, die mich treffen, meinen oft, sie würden gerne so viel reisen, wie ich. Ich kann dann meistens nur sagen „Ich würde mir die Stadt ja gerne ansehen, aber das wird nichts. Wir haben nur 45 Minuten, also lass uns lieber Sex machen.“

07 / 2006
ZEIT ONLINE