Der Raum, in dem sich Wir sind Helden auf ihr Hamburger Konzert vorbereiten, erinnert an einen Krankenhauswartesaal: Weiße Wände, Fichtenmöbel und blassgelbes Licht. Jemand hat zur Aufheiterung ein orangefarbenes Tuch an die Wand gehängt, vor dem Bassist Mark Tavassol und Keyboarder Jean-Michel Tourette Autogrammkarten bekritzeln. Und in der nächsten Dreiviertelstunde über Angst, politische Dogmen und Teenagermädchen in der ersten Reihe reden
Fragen von Falk Lüke und Christian Bangel
ZUENDER: In drei Stunden tretet ihr vor 7.000 Menschen auf. Seid ihr vor Konzerten noch aufgeregt?
Mark: Unterschiedlich stark. Ich werde normalerweise eine Stunde vorher nervös. Nie so sehr, dass ich das Gefühl habe, dass es mir schadet. Ich schlafe auch vor Konzerten nicht mehr schlecht. Es gibt eine Anspannung, die Spaß macht. Wir beide hören dann gerne Musik.
Jean: Es ist schön, wenn die Angst weg ist. Es kann ja sonst was passieren auf der Bühne, eine Gitarre kann versagen, die Technik kann streiken. Das kann aber auch ein Anlass für eine lustige Ansage außerhalb des gewohnten Rahmens sein. Wenn man das erstmal rausgekriegt hat, hat man ein sehr schönes Erwartungsgefühl vor dem Konzert.
Wir oft hört ihr denn dabei die Helden?
Jean: Vor Shows gar nicht.
Mark: Höchstens mal, wenn meine Freundin das Bekannten zeigt. Nach einem Lied sage ich dann meistens: "Lass mal was anderes hören". Mir ist das eher peinlich.
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Jean: Das zweite Album ist noch zu frisch, das lasse ich erstmal noch liegen. Aber von "Die Reklamation" höre ich mir inzwischen öfter mal Stücke an. "Du erkennst mich nicht wieder" zum Beispiel. Alle drei Monate.
Mark: Nackt vor'm Spiegel.
Jean: Genau. (lachen)
Ihr wart vor Erscheinen des zweiten Albums etwas besorgt, dass "Von hier an blind" nicht an "Die Reklamation" anknüpfen könnte...
Jean: Das wurde uns angedichtet. Wir selbst hatten nie Angst. Man kann Erfolg ja nicht planen. Man kann nur Lieder schreiben und sich überlegen, wie man die am besten präsentiert. Aber ob die Platte dann ankommt, liegt nicht mehr in der Hand des Künstlers. Daher braucht man auch keine Angst zu haben.
Kann man davon ausgehen, dass eure dritte Platte ganz anders klingen wird?
Mark: "Kann" ist das richtige Wort. Wir haben auch bei "Von hier an
blind" nicht nach Konzept gearbeitet. Wir haben nicht gesagt: "Lass uns
mal gitarrenlastiger klingen". Das sind Attribute, die wir hinterher -
zu Recht - von Journalisten bekommen haben. Es ist schön, nicht genau
zu wissen, in welche Richtung wir gehen werden. Wir wurden über die
Jahre unterschiedlich inspiriert. Da entsteht ein Potpourri, von dem
wir keine Vorhersagen treffen können. Das ist auch für uns spannend.
Ihr habt nach wie vor ein außergewöhnlich breites Publikum. Von zehn bis sechzig ist wahrscheinlich alles bei euren Konzerten vertreten. Welche Schlüsse zieht ihr daraus?
Jean: Ich versuche, das nicht so nahe an mich heranzulassen. Dabei
kommt man nur auf komische Gedanken: Wem man mehr gefallen will und wem
nicht. Glücklicherweise sucht sich das Publikum die Band aus und nicht
umgekehrt. Ich bin sehr zufrieden damit, dass uns auch andere Leute
außer Studenten hören. Zum Anfang kam unser Publikum ja hauptsächlich
aus der linksalternativen Szene, inzwischen sind auch Teenagermädchen
in der ersten Reihe. Ich finde das in Ordnung, solange die Studenten
nicht wegbleiben.