Film

"Kindersoldaten kauf ich bei der BBC"

Mit seinem Dokumentarfilm "Lost Children" zeichnet Oliver Stoltz ein eindringliches und sensibles Porträt von Kindersoldaten in Uganda. Im Gespräch mit dem Zuender berichtet er über die Schwierigkeiten, einen unbekannten Konflikt in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken und wie ihm die Kinder zur Herzensangelegenheit wurden

Fragen von Clara Boie

Herr Stoltz, Ihr Dokumentarfilm "Lost Children" handelt von vier Kindersoldaten, denen die Flucht vor den Rebellen gelungen ist. Der Film hat für großes Aufsehen gesorgt. Sind Sie mit den Reaktionen zufrieden?

Zufrieden sind wir erst, wenn so viel Druck auf die ugandische Regierung ausgeübt wird, dass sie dafür sorgen muss, dass die Menschen die Flüchtlingslager verlassen können. Wir haben Aufmerksamkeit bekommen. Sogar Politiker interessieren sich jetzt für das Thema. Das ist alles schön und gut, dennoch ist es nur Musik. Wir müssen so lange dran bleiben, bis zum Beispiel der Entwicklungshilfeausschuss die Fördergelder für Uganda stärker an Forderungen knüpft.

Was haben die Fördergelder mit dem Krieg zu tun?

Uganda, eines der ärmsten Länder der Welt, ist abhängig von Auslandsgeldern. 50 bis 60 Prozent des Staatsbudgets kommen zum Teil als Militärhilfe aus der EU und den USA. Als Rechtfertigung für den Erhalt der ausländischen Gelder braucht Uganda den Krieg und sein aufgeblähtes Militäraufkommen. Keiner der Geberstaaten macht sich die Mühe, die tatsächliche Anzahl der Soldaten abzuzählen. Das Geld wandert so in die Taschen der Generäle und der Staatspräsidenten. Wenn ich Staatspräsident Ugandas wäre, würde ich auch keinen Krieg beenden, der so profitabel ist. Man muss nur PR-technisch wissen, wie die Nummer gespielt wird.

Die Regierung erhält diese Fördergelder also, um die Armee zu finanzieren und somit Frieden herzustellen. Letztendlich wirtschaftet sie es aber in die eigene Tasche und hält den Krieg als Rechtfertigung aufrecht. Diese politischen Missstände werden in dem Film aber gar nicht erläutert.

Das ist richtig. Aber die Missstände sind so kompliziert, dass jeder sofort abschalten würde, wenn wir die Korruption im Detail dargestellt hätten. Wir haben selbst mehrere Jahre gebraucht, um diese Zusammenhänge zu verstehen. Wir dachten, dass die Kinder viel stärker wirken....

...also waren sie Mittel zum Zweck?

Die Kinder?

Ja.

Nein, was heißt Mittel zum Zweck. Wir haben uns überlegt, wie der Film als Waffe, als Plattform am stärksten sein kann. Je mehr er emotionalisiert und die Realität des Krieges darstellt, desto größer ist seine Wirkung. Der Konflikt in Uganda hat so viele Dimensionen: Neben den bereits erwähnten Problemen gibt es den Stammeskonflikt zwischen dem Süden und dem Norden. Wir hätten nur mit dem Finger auf jemanden zeigen und das Ganze auftexten können. Einen solchen Film wollten wir aber nicht machen. Vielmehr sollte der Fokus auf der Reintegration der Kindersoldaten liegen.

Aber wäre nicht eine Stellungnahme von den Verantwortlichen, also zum Beispiel dem ugandischen Staatspräsidenten Yoweri Kaguta Museveni, wichtig gewesen?

Der Präsident stand uns nicht zur Verfügung. Obwohl ich nach Abdrehen des Filmes mehrmals bei seinem Pressesprecher angefragt habe. Zudem habe ich Olara Otuunu, ehemaliger ugandischer Außenminister und selbst Stammesmitglied der Acholi, dem Stamm aus dem Norden, angesprochen. Er ist UN-Beauftragter für Kindersoldaten, hilft der ugandischen Bevölkerung aber überhaupt nicht. Doch er wollte auch keine Stellungnahme abgeben.

Hat denn der Staatspräsident von Ihren Dreharbeiten gewusst? Nein, hat er nicht. Ich habe nur um eine Stellungnahme zu der Situation in Uganda gebeten.

Aber man braucht doch sicherlich eine Drehgenehmigung von offizieller Seite. Ja. Es gibt eine Stelle in Kampala, bei der man seine Dreharbeiten genehmigen lassen muss. Zudem hatte mir ein ugandischer Journalist geraten, unser Vorhaben nicht an die große Glocke zu hängen. Das heißt, die Regierung wusste nicht, dass wir über den krisenreichen Norden einen Film drehen. Dennoch musste ich in jeder Stadt meine Runde machen, um mit möglichst vielen Potentaten - Polizeichefs, Regionalleadern und Verantwortlichen - zu sprechen.

Die haben Sie problemlos drehen lassen?

Wir haben vorgegeben die Arbeit der Caritas zu porträtieren und nur deshalb ein OK erhalten. Außerdem kann Kampala weit weg sein, wenn man Geschenke mitbringt...

Wenn sie aufgeflogen wären, was hätte schlimmstenfalls passieren können?

Wir wären aus dem Land geschmissen worden. Nicht, dass sie uns umgebracht hätten…

...aber der Film wäre gestorben....

Genau. Das war unser Risiko. Uns war klar, dass sie uns nie wieder ins Land lassen. Außerdem wäre es wirtschaftlich für mich eine ganz gute K.O.-Erklärung gewesen.

Wie oft haben Sie sich gesagt, den Film nicht zu machen, weil das Risiko einfach zu groß erschien?

Nicht einmal. Das überhaupt zu denken wäre unglaublich unmotivierend! Ich habe mit jeder Fahrt nach Uganda mehr und mehr Angst bekommen und war froh, wenn ich wieder im Flugzeug saß.

Angst vor Rebellen?

Angst hatte ich, dass ich dabei drauf gehe. So simpel. Dass irgend so ein Wahnsinniger uns abschießt, weil ich im Auto durch die Gegend fahre.

Sie hatten aber keinen Kontakt zu den Rebellen? Doch. Wir sind an Rebellen vorbeigefahren, ohne dass es uns bewusst war. Erst später erfuhren wir von Soldaten, dass es sich um Rebellen gehandelt habe. Bei einer anderen Fahrt im Autokonvoi wurde sogar einer unserer Wagen abgeschossen. Es gab Todesopfer, so etwas passiert!

Das klingt ziemlich abgestumpft. Man muss akzeptieren, dass Leben und Tod zusammengehören. Anders verkraftet man das nicht.

Konnten alle in Ihrem Team so gut mit der Situation umgehen?

Uns sind haufenweise Kameraleute abgesprungen. Obwohl der Kameramann, der uns letztendlich begleitet hat, Afrika-erfahren ist, hat er sich geweigert das Auffanglager in Pajule für Außendrehs zu verlassen. Ali und mir blieb nichts anderes übrig, als die Kamera in die Hand zu nehmen und die Drehs im Rebellengebiet selbst zu machen.

Ist die Angst des Kameramanns nicht berechtigt und nachvollziehbar?

Der eine Faktor war seine Angst, die wir natürlich akzeptieren. Daraus machen wir ihm keinen Vorwurf. Die Regel bei uns war, dass jeder das tut, was er glaubt tun zu können. Was uns gestört hat, war seine Art mit der ugandischen Bevölkerung umzugehen. Er hat sich als kolonialer Herrscher aufgespielt.

Musste man nicht mit solchen Problemen rechnen?

Ja, klar. Über so einen langen Zeitraum auf engstem Raum in diesem Krisengebiet ist nicht nur eine physische, sondern auch eine psychische Belastung. Man hat keine Abwechslung und kann sich nicht frei bewegen. Moskitos, Hitze, Tod. Der reine Wahnsinn! Aber irgendwie gehört das dazu.

Sie haben gerade erzählt, dass Sie die Szenen außerhalb des Lagers gedreht haben...

Die Bilder am Anfang von der Mutter, die weint und ihr totes Baby auf dem Arm hält und von dieser Großmutter, die mit ihrem Enkelkind tot auf dem Boden liegt und von diesem Mann mit dem eingeschlagenen Kopf haben wir gedreht.

Man fragt sich, wie einem bei solch grausamen Szenarien nicht die Kamera aus der Hand fällt.

Die Kameraführung ist nicht gut bei den Bildern. Aber diese grausamen Szenarien gehören dazu. Im Gegensatz zu den Kriegsberichterstattern, die ich kennen gelernt habe, die von einem Konflikt zum Nächsten reisen und sich dann damit brüsten, haben wir nicht aufgehört an etwas zu glauben. Deswegen haben wir die Grenze von Journalismus zu Aktion weit überschritten. Wir haben uns in den Konflikt involviert und es zu unserer Aufgabe gemacht, uns zu engagieren. Wir wollten nicht einfach nur hingehen, um darüber zu berichten. Die Dreharbeiten haben uns sehr verändert.

Was hat sich bei Ihnen verändert?

Wie ich bereits sagte: Ich hätte mich nie in der Form für etwas engagiert. Ich war nie in einer Partei oder einem Verein. Ich mach das alles, weil es mich so berührt hat und mir die Leute so wichtig geworden sind. Wir beide verdienen daran ja keinen Pfennig bei dem Ganzen, wir machen schon seit anderthalb Jahren kein Geld.

Und es gab keine finanziellen Zuschüsse, keine Filmförderung?

Ich habe zunächst die ernüchternde Erfahrung gemacht, dass wir überall abgelehnt wurden. Ich bin von Pontius zu Pilatus gerannt und alle meinten: "Afrika wollen wir nicht. Macht doch was mit Deutschland." Dann lesen sie ein Label, das heißt Kindersoldaten. Und dann sagen die sich: "Kindersoldaten kauf ich mir bei der BBC." Die Entscheider haben nicht erkannt, dass wir keinen weiteren Film mit Kids und großer Knarre und Helm und dem ganzen Kram machen wollten. Wenn wir zum Beispiel einen deutschen Psychologen – den es in dem Auffanglager tatsächlich gibt –genommen hätten und sein Leben in der afrikanischen Kultur, im Krieg und der Arbeit mit Kindersoldaten, porträtiert hätten, dann wäre es für uns einfacher gewesen. So verkauft man üblicherweise Geschichten. Man benötigt immer einen Deutschlandbezug. Das wusste ich auch nicht, schließlich produziere ich sonst Spielfilme. Geld kam dann aber letztendlich von "arte", weil ich denen so lange auf den Keks gegangen bin.

Was passiert mit dem Geld, das der Film einspielt?

Da kommt nicht das große Geld rein. Das Geld landet beim Verleih, der Pressefirma und der Marketingfirma. Sie alle verdienen daran, was auch in Ordnung ist. Allein das Bewusstsein von Leuten zu verändern war es mir wert, einen solchen Film zu machen. Wenn ich wieder Geld verdienen will, produziere ich eine Komödie.

Also war es weniger Job, vielmehr Herzensangelegenheit?

Richtig. Und nicht weil wir vom Herzen her von vornherein eine Verbindung hatten, sondern weil wir eine bekommen haben. Das was zählt, sind Engagement und Empathie. Und nur damit kann man was bewegen. Wir wussten nicht, ob der Film auf der Berlinale läuft. Wir wussten nicht, ob uns irgendwer einen Verleih gibt und ob wir überhaupt damit in die Öffentlichkeit kommen. Es war ein Risiko, den Film überhaupt ins Kino zu bringen. Man kommt erst bei 25.000 Zuschauern auf einen grünen Zweig. Bei der Schwelle erhält man Fördergelder. Erst wenn wir die überschreiten, haben wir den nächsten Film finanziert.

Was ist als nächstes geplant?

Es ist ein Dokumentarfilm über das Grenzgebiet Iran/Afghanistan geplant, den ich mit Ali Samadi Ahadi letztes Jahr geschrieben habe. Aber mein nächster konkreter Film wird eine Komödie sein.

Um wieder Geld zu verdienen?

Ja klar.

Oliver Stoltz wurde 1969 in Bonn geboren. Er studierte Film an der HFF "Konrad Wolf" und erhielt seinen MFA in "Motion Picture Producing" im "Peter Stark Program" an der USC in Los Angeles. Er gründete die Produktionsfirma Dreamer Joint Venture und produzierte unter anderem für RTL, ZDF und Warner. Bei dem Dokumentarfilm "Lost Children" führte er gemeinsam mit Ali Samadi Ahadi erstmals Regie und war Autor des Drehbuchs.

49 / 2005
Zuender