Spielkultur

„Davon träumt doch jeder“

Die Band FETTES BROT hat den musikalischen Adelsschlag erhalten: Ihr Hit Emanuela wurde von den Bielefelder Fans sogar im Fußballstadion gesungen. Doktor Renz (DR), Schiffmeister (S) und König Boris (KB) über den Song als Fußballhymne, große Gefühle im Stadion und Kopfschmerzen auf der Bühne durch zu viel Fußballtennis

Als Patrick Owomoyela umworben wurde, sangen die Bielefelder Fans „Lasst die Finger von Owomoyela“ und verwendeten Text und Melodie Ihres Hits Emanuela . Wie finden Sie das, im Stadion gesungen zu werden?
KÖNIG BORIS: Fantastisch. Ein lang gehegter Traum ist in Erfüllung gegangen.
DOKTOR RENZ: Das ist der Adelsschlag für jeden Popsong, wenn er im Stadion gesungen wird. Davon träumt doch heimlich jeder Songschreiber. Das ist eine Art von Heiligsprechung.
SCHIFFMEISTER: Das Schöne daran ist ja auch, dass die Band gar nichts dafür getan hat. Wir haben unseren Song gemacht, und die Leute fanden ihn gut. Da muss also etwas drinstecken, was 20.000 Leute gerne singen wollen. Das ist cool.
DR: Wir haben beim Schreiben natürlich daran gedacht, dass es da in Bielefeld einen Spieler namens Owomoyela gibt und dann versucht, einen Frauennamen zu finden, der ganz ähnlich ist, damit das abgewandelt werden kann. Wir haben die Idee auf die Reise geschickt, aber gemacht haben es die Fans von Bielefeld. Danke noch mal!
(Band lacht)

In Deutschland wirkt das, was in den Stadien gesungen wird, eher langweilig. Zumindest von der Melodieauswahl.
S: Ist es das wirklich? Das wird oft sofort zu einem dumpfen Gassenhauer abgestempelt: Was im Stadion gesungen wird, ist partout schlechter Geschmack. Oft stimmt das auch, das muss man ehrlich sagen, aber manchmal auch nicht. Das sind immerhin Hymnen, die viele Leute gerne grölen. Das muss ein Gefühl in den Menschen auslösen, das tief geht.
DR: So schlimm finde ich die Melodieauswahl gar nicht. Was Fußball und Pop angeht, sind die Engländer ganz weit vorne. Zumindest hat man in Deutschland eine ganz hohe Meinung davon. Aber ob da wirklich nur B-Seiten von alten Oasis-Singles gesungen werden oder eben doch auch Sailing von Rod Stewart – keine Ahnung

Die Fans greifen häufig auf immer die gleichen Melodien zurück. Ist das nur Gewohnheit?
S: Die Melodien sind ja häufig schon etwas älter. Aber das ist das Gute: Wenn man den Text einmal geahnt hat, kann man sofort mitgrölen. Das ist das Geheimnis.

Ein anderes leidiges Thema sind die Lieder, die über Fußball geschrieben werden. Gibt es in der Bundesliga überhaupt ein gelungenes Vereinslied?
KB: Das HSV-Lied von Lotto King Karl geht noch einigermaßen, finde ich. Und ich bin nun wirklich kein HSV-Fan. Es ist halt besser als die Pest. Was man sonst zu hören bekommt, ist teilweise wirklich dramatisch.

Wir haben eine kleine Liste von Fußballsongs vorbereitet, bitte jeweils ein Statement. Wie wär's mit Rummenigge von Alan & Denise?
S: Rummenigge, Rummenigge, all night long ? Das war ein Hit.
DR: Das fand ich gut damals.
KB: Nicht ernst zu nehmen als Song, aber witzig.

Ein echter Klassiker: Fußball ist unser Leben , die Nationalmannschaft zur WM 1974.
KB: Peinlich. Wenn Fußballmannschaften singen, wird das immer schnell schlimm.
S: Die hatten wohl auch wenig Spaß daran. Ich habe mal TV-Aufnahmen gesehen, die sahen aus, als hätte man sie hingeprügelt.

Football’s coming home ?
DR: Der einzig gute Song.
KB: Der beste Fußballsong, der je geschrieben wurde. You’ll never walk alone ist natürlich auch super, aber der war ursprünglich ja gar nicht als Fußballsong gedacht.
DR: Trotzdem bringt er das Gefühl, das man als Fußballfan kennt, total auf den Punkt. Wenn es Scheiße läuft, bist du nicht allein. Das passt, egal ob du gewonnen oder verloren hast. Das ist eine ganz tolle Eigenschaft von einem Fußballlied.

Die Nationalmannschaft hat auch mal was mit den Village People gesungen: All the Way to America , zur WM 1994.
DR: Mit welcher Nationalmannschaft – mit der deutschen?

Mit der deutschen.
KB: Eine wahnsinnige Kombination.
DR: Das muss sich Rudolf Scharping ausgedacht haben.

Ein Fußball ist immer auf Tour mit dabei

Dann gibt es da noch Buenos dias, Argentina von 1978 mit Udo Jürgens.
S: Warum ist das immer so volkstümlich? Warum haben das nicht mal progressivere Bands in Angriff genommen?

Wie wär’s mit Fettes Brot?
KB: Band schweigt.
DR: Vielleicht ist da ja der Wunsch der Vater des Gedankens. Man könnte uns ja noch dazu überreden. Wir hätten es selbstverständlich drauf. Das sei mal vorangestellt.
S: Die Traute hätten wir.

Ganz hypothetisch: Wären Sie bereit, den offiziellen WM-Song zu machen?
DR, KB, S: Nein.
S: Wer bestimmt, dass das offiziell ist? Ein Fernsehsender? Angela Merkel?
DR: Noch besser, der DFB. Offiziell gibt es einfach nicht mehr, dafür ist die Medienlandschaft zu verzweigt. Jeder Fernsehsender will seinen eigenen Song, am besten noch mit einem fetten Sponsor hintendran. Wenn man da mitmacht, muss man den besten Song machen, der sich durch Qualität durchsetzt.

Lässt sich so ein Song überhaupt mit Absicht planen? Die meisten Sachen kranken doch daran, dass sich jemand hinsetzt und partout ein Fußballlied schreiben will.
DR: Das war ja auch das Schöne am Owomoyela-Song. Ich glaube, wenn man das machen will, hat man sicher die Idee, dass der Song im Stadion gesungen werden soll.
KB: Ich glaube nicht, dass das ein Kriterium sein sollte. Das ist oft gerade der Fehler. Ich glaube auch nicht, dass die Lightning Seeds sich vorher überlegt haben, dass Football’s coming home im Stadion gesungen werden soll. Die haben einfach versucht, ein Gefühl, das sie zu Fußball haben, in einen Song zu packen.
DR: Ich glaube, den Leuten fällt das Songschreiben auch deshalb so schwer, weil ein Lied über Fußball auch eines über Deutschland ist. Die Engländer haben es da einfach leichter, ein liebevolles Verhältnis zum eigenen Land auszudrücken. In Football’s coming home ist die eigene Märtyrerrolle dermaßen ausgelebt: Wir haben den Fußball erfunden, dann wurde er uns geklaut …
KB: … von den Deutschen …
DR: … von den Deutschen, den Holländern und wem man sonst noch alles auf Mallorca begegnet. Und jetzt, nach 30 Jahren, holen wir ihn uns zurück. Das ist vom Gefühl her perfekt. Genau dort möchte man laut mitsingen.
KB: Viele Leute haben Songs gemacht, die selbst mit dem Fußball gar nichts zu tun hatten. Das waren Auftragsarbeiten. Udo Jürgens, Peter Alexander – ich glaube nicht, dass die schreiend in der Kurve stehen. Da fehlt die emotionale Bindung, einen Song zu schreiben.

Aber Sie gehen ins Stadion.
KB: Ich jedenfalls, zum FC St. Pauli.
S: Stellvertretend für uns alle.
KB: Wir können uns keine drei Dauerkarten leisten. Glücklicherweise fiel das Los auf mich.
DR: Wir beide haben Kinder, und er hat eine Dauerkarte.
S: Ich war früher, weil mein Vater mich mitgenommen hat, beim SuS Waldenau. Ein kleines Dorf in der Nähe von Pinneberg.
DR: Den Verein haben wir später auch gesponsert, wir waren auf dem Trikot. Das kam über einen Kollegen von Boris zustande, der da auch gespielt hat. Es ist schon ein geiles Gefühl, wenn eine Mannschaft mit dem Bandnamen auf der Brust aufläuft. Und wir hatten mal eine Werbebande bei St. Pauli, auf der stand „Fettes Brot ist doof“. Ein großes Gefühl damals in ran : das eigene Bandlogo im Stadion.

Werbemaßnahme oder Herzensangelegenheit?
KB: Für mich war das eine Herzensangelegenheit. Wie viel Werbung das brachte, war mir ziemlich egal.

Kicken Sie auch selbst?
KB: Ja. Wir haben eine Mannschaft mit zehn, zwanzig Leuten, da treffen wir uns einmal die Woche und spielen auf so einem öddeligen Bolzplatz. Schockt tierisch. Ein, zwei Tore können einem die Woche total versüßen. Man denkt auf dem Fahrrad darüber nach, wie man ein Kopfballtor gemacht hat – herrlich. Das sind schnelle, ohne viel Aufwand geholte Erfolgserlebnisse.

Und auf Tour werden die Lampen in der Halle ausgeschossen.
S: Neulich habe ich mitgespielt bei einem Spiel, das meine Kollegen erfunden haben und über das sie sicher gerne berichten …
KB: Das ist Fußballtennis, das machen sogar die Profis.
S: Ach, das habt ihr gar nicht erfunden?
DR: Man kommt dann nur mit Kopfschmerzen auf die Bühne – die vielen Kopfbälle.
KB: Ein Fußball ist aber immer dabei. Sollen wir zur Musik kommen?
DR: Damit kennen wir uns aus. Das machen wir ja lange genug.

Aber HipHop ist doch sowieso tot. Das haben Sie schon vor vier Jahren gesungen. Warum sind Sie dann immer noch dabei ?
KB: Für uns läuft es doch ganz gut, oder?
DR: Wir machen einfach unsere Musik und sagen nach wie vor, das sei HipHop. Wir hatten auch nie Schwierigkeiten, die Veränderungen mitzumachen, der eine Band in so einem Zeitraum unterworfen ist. Wir haben nach allen Seiten geschaut, was spannend ist und das in unsere Musik integriert. Aber der Gedanke, der dahintersteckt, ist immer noch HipHop. Uns hat von Anfang an fasziniert, dass man dort aus ganz wenig große Songs machen kann. Man braucht nur einen geilen Beat, eine Idee, Mitteilungsbedürfnis und eine laute Stimme.
S: Wir leben in dem Größenwahn, dass wir den HipHop-Begriff weiterentwickeln können. Das ist wichtig für Rap, sonst tritt man künstlerisch furchtbar langweilig auf der Stelle. Davon gibt es echt genug. Wir versuchen, uns immer wieder zu erneuern.

Dafür werden Sie regelmäßig angefeindet und schlagen auch mal zurück.
S: Es gab sicher Zeiten, zu denen wir mehr über so etwas nachgedacht und uns geärgert haben als heute.
DR: In der Popmusik geht es doch auch immer darum, der Coolste zu sein oder der Durchsetzungsfähigste. Da gehört es offensichtlich bei einigen, vornehmlich männlichen Protagonisten der Szene dazu, sich schlecht zu benehmen und Leute zu beleidigen. Wir haben das nie gemacht und sind trotzdem immer erfolgreich gewesen. Genau das können unsere vermeintlichen Widersacher am wenigsten verstehen.

Wie würden Sie Ihre musikalische Entwicklung charakterisieren?
KB: Wir sind besser geworden in dem was wir machen, zielstrebiger. Früher haben wir viel mehr herumprobiert, bis die Musik gut klang, heute wissen wir, was wir machen müssen, um das Ergebnis, das uns vorschwebt, zu erreichen.

Sie wissen also von Anfang an, wie so ein Song klingen muss?
S: Ja. Jeder von uns hat ein Bild des Songs im Kopf, wenn wir ins Studio gehen. Während der Arbeit stellt sich dann heraus, dass jeder von uns ein anderes hat. Dafür wissen wir, dass der Track 300 Prozent so gut wird, weil die Ideen der anderen noch dazukommen. Es ist ein Konzentrat guter Ideen. Das neue Motto bei Fettes Brot: Wenn drei Superhits in einem stecken, ist es okay.
DR: Was ich als Entwicklung empfinde, ist, dass wir immer poppiger geworden sind. Wir schämen uns auch nicht der drei kleinen Pop-Schweine, die in uns wohnen. Früher haben wir oft noch eine andere Version gemacht. Heute freuen wir uns eher, dass wir es so poppig hinbekommen haben.

Fettes Brot steht aber immer für Spaßrap mit den drei lustigen Jungs aus Hamburg. Da gehen doch die sozialkritischen Lieder ziemlich gerne mal unter.
DR: Speziell bei dieser Platte hatte ich einen anderen Eindruck. Ich weiß nicht, ob wir das bewusst eingefädelt haben, aber der Berichterstattung entnehme ich, dass wir ab sofort ernst sind. Was auf der einen Seite stimmt, es gibt sehr ernste Momente auf der Platte und Songthemen, die wir bisher noch nicht behandelt haben. Aber auf den anderen Platten sind auch immer mindestens drei Lieder, die ernst gemeint, unironisch und politisch waren.

Stört Sie Ihr Image eigentlich?
KB: Ach nein, schon lange nicht mehr. Das ist eine so einseitige Sichtweise. Es ist auch so ein Phänomen, dass Spaß bereiten oder witzig sein sofort mit dumm oder bieder gleichgesetzt wird. Man kann auch sehr tiefsinnig sein, wenn man Witze macht. Wir haben in unseren Songs schon des Öfteren ernsthaftere Botschaften witzig verpackt, so dass manche das erst beim zweiten Zuhören erkannt haben.
DR: Man sollte in Deutschland den Humor nicht den Idioten überlassen.

Vor elf Jahren veröffentlichte die Hamburger HipHop-Combo ihre erste Platte mit dem schönen Titel „Mitschnacker“. Mittlerweile gehört Fettes Brot zu den etablierten deutschen Bands. Sie füllen große Hallen und haben Fans aus allen Altersstufen. Doch die erste Goldene Schallplatte ließ lange auf sich warten. Erst im Mai war es endlich soweit, die Hitsingle „Emanuela“ verkaufte sich über 150.000-mal. Während eines Konzerts in Rostock bekamen Doktor Renz, Schiffmeister und König Boris die Glitzerscheiben überreicht und freuten sich so sehr darüber, dass sie um ein Haar von der Bühne gefallen wären.
Wer „Emanuela“ live hören will: Fettes Brot ist vom 13. bis zum 28. Oktober auf Deutschlandtournee und im Dezember in Österreich und der Schweiz unterwegs


Das Interview führten Malte Oberschelp und Eberhard Spohd

40 / 2005
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